Folgen chronischer Traumatisierungen

Neuronale und endokrine Veränderungen als Folge chronischer Traumatisierungen im Kinder und Jugendalter

 

For the vast majority of beasts on this planet, stress is about a short-term crisis, after which it´s either over with or you are over with. (Why Zebras don´t get ulzer; Robert M. Sapolsky; 1998; S.5)

Ich möchte auf jene Symptome eingehen, die am meisten mit den neuronalen Veränderungen aufgrund erlittener Bindungstraumatisierungen in Verbindung gebracht werden.

Es gibt wissenschaftlich begründete Vermutungen, dass chronische Traumatisierungen andere und mitunter schwerwiegendere Symptome als „single-event“-Traumata zur Folge haben.

Diese Überlegungen können durch das Konzept der Allostase und mit dem in Verbindung stehenden Terminus des „alloestatic overload“ noch ein Stück weiter untermauert werden.

Hans Selye beschäftigte sich bereits mit den physiologischen Auswirkungen von Stress und Bedrohung auf den menschlichen Körper.

Die HPA-Axe ist jenes System im Körper, das maßgeblich an der durch Stress ausgelösten physiologischen Kettenreaktion beteiligt ist.

Alle notwendigen endokrinen Vorgänge werden von der HPA-Axe eingeleitet, um im Falle von Bedrohung die sogenannte „Fight or Flight“-Reaktion auszulösen.

Die „Fight or Flight“ Reaktion beschreibt jenen Zustand, der durch eingeleitete Veränderungen im Körper, dem Menschen und auch den meisten Tieren auf diesem Planeten, durch ein Bereitstellen an Energie und Sauerstoff das Überleben sichern soll.

Es beschreibt einen Zustand, der nicht wie in Zeiten der Entspannung, ein angelegtes Körper Geleichgewicht darstellt, welches auf Regeneration und Ressourcen Schonung angelegt ist, sondern im Gegensatz dazu einen körperlichen Ausnahme Zustand hervorruft.

Eine chronische (Über-)Aktivierung der HPA-Axe bedeutet eine ständige Ausschüttung an Botenstoffen (Adrenalin, Noadrenalin, Glucorticoide), die massive physiologische Reaktionen hervorrufen.

  • Lösen der Vagus Bremse und somit eine symphatische Aktivierung die eine
  • Erweiterung der Blutgefäße,
  • Anstieg der Herzfrequenz,
  • Ausschüttung an gespeicherten Kohlehydraten, um Energie bereit zu stellen zur Folge haben.

Es wird somit ein physiologischer Ausnahmezustand eingeleitet.

Wird der Ausnahmezustand zum Dauerzustand, so droht ein malaptiver Anpassungsprozess endokriner und neuronaler Systeme, welcher durch chronische Überstimulierung verursacht wird.

Das Konzept der „Alloestatic Overload“ versucht die eben beschriebenen Prozesse greifbar zu machen und auf die multidimensionalen Auswirkungen von Stress und Bedrohung auf den Körper einzugehen.

In diesem Zusammenhang wird oft die Formulierung „the wear and tear on the body“ verwendet, die sich auf die Auswirkungen chronischen Stresses und der damit verbundenen Überaktivierung endokriner Systeme bezieht und die damit verbundenen Folgen für den menschlichen Körper beschreibt.

It´s not so much that the stress-response runs out, but rather, with sufficient activation, that the stress-response can become more damaging than the stressor itself, especially when the stress is purely psychological. (Why Zebras don´t get ulzer; Robert M. Sapolsky; 1998; S.174)

Das erste Symptom, auf das ich eingehen möchte, wird in der englisch-sprachigen Literatur als Hyperarousal bezeichnet und in der deutschsprachigen Literatur mit den Begriffen Übererregbarkeit und erhöhte Schreckhaftigkeit übersetzt.

Dieses Symptom fasst bei genauerer Betrachtung ein ganzes Symptom-Bündel zusammen.

Die Übererregbarkeit trifft auf mehrere Bereiche der Reizwahrnehmung und Verarbeitung zu.

 Hyperarousal kann als eine gesteigerte Sensibilität in der Wahrnehmung akustischer, visueller und emotionaler Stimuli beschrieben werden.

Besonders viel Aufmerksamkeit wurde der gesteigerten Schreckhaftigkeit traumatisierter Patientinnen im Zusammenhang mit (neutralen) akustischen Stimuli geschenkt.

Dies wurde durch einige Studien nachhaltiger untersucht und kann als vorläufig bestätigt interpretiert werden.

„This finding suggests that the effects of perceived abuse do not parallel the effects of PTSD, but rather have unique effect on physiology; namely an across-the-board increase in startle magnitude observed on all trial types. Importantly, when we co-varied for age, sex and Axis I disorders (PTSD and depression), the group differences between individuals with high and low levels of early sexual and physical trauma remained significant.

These results suggest that early life trauma has long-lasting neurobiological effects. …..In summary, this study found that high levels of reported history of child abuse are associated with increased startle reactivity in adulthood.“ (Childhood Abuse is Associated with Increased Startle Reactivity in Adulthood; Tanja Jovanovic et al; 2009; http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2852033/; 06.06.16 9:40)

Ebenso durch mehrere Studien untersucht und durch überschneidende Ergebnisse diesem Symptom-Kluster zuordenbar, ist eine veränderte Verarbeitung und Bewertung menschlicher Gesichtsausdrücke. Neutrale Gesichtsausdrücke, in Form von Bildern präsentiert, werden von traumatisierten Menschen als deutlich bedrohlicher wahrgenommen, als von der Kontrollgruppe ohne PTSD bzw. komplexen PTSD.

Generell ist ein gesteigertes Gefühl von subjektiv empfundener Bedrohung bei (komplexen) PTSD Patientinnen nachweisbar.

In der englischsprachigen Literatur als „attentional – bias to threat cues“ oder „increased detection of threat cues“ bezeichnet und durch mehrere Studien nachgewiesen, kann eine erhöhte Reaktion auf bedrohliche Stimuli im Vergleich zu Kontrollgruppen belegt werden.

Dies wird auf mehrere Faktoren zurückgeführt:

  • Der Kindling-Effekt beschreibt einen aufgrund erfahrener Überstimulation stattgefundener Hypersensitivierungsprozess (Wöller; 2013) bestimmter neuronaler Areale. Dieser Prozess wird durch kumulative und chronische Traumatisierungen in Kindheit und Jugend begü Im Zusammenhang mit dem zu beobachtenden Symptom von PTSD Patientinnen, dass durch ein gesteigertes Gefühl subjektiver Bedrohung oder „increased threat detection beschrieben werden kann, ist im Falle empfundener Bedrohung eine bilaterale Überaktivität der Amygdala in bildgebenden Verfahren nachweisbar.

Die Amygdala, als Teil des limbischen Systems, ist für eine schnelle, situationsbezogene affektive Antwort verantwortlich. Es ist jenes Zentrum, dass eine erste unmodulierte emotionale Einschätzung von neuen bzw. als bedrohlich interpretierten Situationen und Reizen zur Verfügung stellt, die in anderen Gehirnregionen weiterverarbeitet werden (können).

„Overall, there is a strong foundation for considering amygdala functioning as related to an individual´s automatic detection and vigilance to potential threat cues.“ (anxiety disorders; Ressler; Pine; Rothbaum; Hrsg.2015; S.23)

bild2

(Abbildung 2 Ressler, Kerry J/ Pine Daniel S./ Rothbaum Barbara Olasov (2015): Anxiety Disorders. Translational Perspectives on Diagnosis and Treatment. S.21, Oxford )

  • Wie Abbildung 2 zeigt sind auch Areale im präfrontalen Kortex an der Modulation subjektiv empfundener Bedrohung beteiligt.
  • Der Neokortex beherbergt einige weitere Areale und Zentren, die bei der Modulation und Regulation von affektiven Zuständen, insbesondere Angst, eine bedeutsame Rolle spielen. Einerseits ist durch die negative Wechselbeziehung zwischen medialen präfrontalen Kortex eine dämpfende Wirkung der durch die Aktivierung der Amygdala einsetzenden affektiven Reaktion zu beobachten. Diese negative Korrelation zwischen medialen präfrontalen Kortex und Amygdala ist deutlich verringert in Patientinnen mit komplexer bzw. akuter PTSD als auch in Patientinnen mit einer diagnostizierten Angststörungen.

„Medial frontal areas, including the subgenial and rostral anterior cingulate, are involved in dampening emotional responses that are driven by the amygdala  (Rauch et al; 2008) Anxiety prone individuals show reduced activation of these areas in response to ambiguous affective stimuli (Simmons,Matthews,Paulus,and Stein,2008),as do individuals with PTSD(Etkin,Wagner,2007;Shin,Rauch,and Pittman,2006). Moreover, activation of the ventromedial prefrontal cortex is negativly correlated with amygdalal activation to emotional stimuli in PTSD. (Shin et al.,2006), suggesting reduced capacity to maintain effective top-down regulation of limbic reactivity (Rauch et al.,2006). (anxiety disorders; Ressler; Pine; Rothbaum; Hrsg.2015; S.24)

  • Zwei weitere neuronale Areale (anteriore cinguläre Kortex, insula) sind an der Verarbeitung und individuellen Bewertung neutraler bzw. bedrohlich erscheinender Stimuli beteiligt. Beide Areale scheinen direkten Einfluss auf die subjektive Gefahreneinschätzung von Individuen zu haben. Der anteriore cinguläre Kortex ermöglicht ein willentliches Abwenden der Aufmerksamkeit von bedrohlichen Reizen hin zu Sicherheit vermittelnden Informationen. In Patientinnen mit Angststörungen und PTSD ist diese Kontrollfunktion des anteriore cinguläre Kortex deutlich geschwä Dies erschwert ein willentliches Abwenden der Aufmerksamkeit von bedrohlich erscheinenden Reizen und hat eine verminderte Steuerung und Kontrolle der subjektiven Konzentrationsfähigkeit zur Folge.
  • Die Insula steht im Zusammenhang mit der bewussten Wahrnehmung und Einschätzung interozeptiver und affektiver Zustände und der Bewertung von Körper Wahrnehmungen. „Doch in der Insel geschieht noch viel mehr, sie gilt als multisensorischer Cortex und ist zum Beispiel an der emotionalen Bewertung von Schmerz beteiligt. Als wichtiger Projektionsort der viszero-sensiblen Bahn – also den Empfindungen der inneren Organe – empfängt sie neben Hunger viele weitere Informationen, darunter solche über Atemnot, Übelkeit und Völlegefühl“ (https://www.dasgehirn.info/entdecken/anatomie/der-insellappen; 20.06.2016; 10:33)

„Paulus and Stein (2006) have summarized evidence that individuals who are prone to anxiety show a biased appraisal of internal bodily sensations as dangerous, leading to erroneous predictions of future aversive bodily states, which ultimately manifests as anxiety.“ (anxiety disorders; Ressler; Pine; Rothbaum; Hrsg.2015; S.24)

  • Der Symptom-Gruppe „Hyperarousal“ ist auch eine gesteigerte Wachsamkeit zu zuordnen. Diese Hyper-vigilanz ist vermutlich durch eine Vielzahl an Faktoren zu erklä Einerseits ist es bei früh und chronisch traumatisierten Menschen bereits ein verinnerlichtes Muster und eine Überlebensstrategie geworden, welche auf frühe emotional überfordernde Situationen zurückzuführen ist. Andererseits ist durch die chronische (Über)Aktivierung der HPA-Achse und der damit in Zusammenhang stehenden endokrinen Sensitivierung eine erhöhte sympathische Aktivierbarkeit feststellbar.

Praxis für Psychotherapie